Samstag, 29. Dezember 2007

Einige Gedankenfragmente über Migration und Kunst


Es gibt zahlreiche Bücher, die den komplexen Kunstmarkt analysieren. Es spielen da natürlich neben Zufall noch andere viele Faktoren eine wichtige Rolle, wer im Kunstmarkt Erfolg hat oder erst gar nicht reinkommt. Wenn ihre Herkunftsgesellschaft wenig mit Kunst am Hut hat und die Regierungen politisch nicht daran interessiert sind, ihre Künstler auf der internationalen Ebene zu präsentieren und zu fördern, dann haben sie als Künstler besonders schwer sich in der Aufnahmegesellschaft durchzusetzen. Weil Kulturschaffende, Kunstkritiker oder einfache Menschen ein bestimmtes Bild oder aber auch meistens Klischees im Kopf haben und dich als Künstler entweder ignorieren oder in irgendeine Schublade stecken, ist es schwierig Vorurteile und Klischees durchzubrechen. Da muss man sich als Künstler und als politischer Mensch gut kennen, um durchhalten zu können.
Man muss allerdings aufpassen. Es gibt viel Heuchelei. Orient, Islam, Türken-EU sind zurzeit viel diskutierte heiße Themen. Kanaken sind besonders in Mode und haben einen Bonus. Egal was für ein Scheiß produziert wird, es wird gepriesen und gelobt, weil ein Kanake dahinter steckt. Das ist positiver Rassismus und Ignoranz. In den 80er Jahren war dies der Fall gewesen. Nach dem Mauerfall waren die Deutschen mit sich beschäftigt und die Kanaken waren vergessen. Jetzt im neuen Jahrtausend geht die Heuchelei wieder da weiter, wo es aufgehört hatte. Wir sind leider kein Stückchen weiter.
Die Mehrheitsgesellschaft kennt uns kaum, aber wir werden unsere Andersartigkeit, unsere frische Sicht der Dinge früher oder später durchsetzen.

Der Erfolg des einzelnen Künstlers im Kunstmarkt hängt mehr oder weniger vom Talent, den Beziehungen, der Kunstmode und dem Zufall ab. Ich glaube dabei spielt die Nationalität des Künstlers in erster Linie kaum eine entscheidende Rolle. Es sei denn die Kultur (Nation) aus der du stammst ist hoch im Kurs und in Aufbruchsstimmung. So wie die Kubaner in den letzten Jahren es waren. Dann kann es nämlich sein, dass dir als Künstler mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, und du von der Welle mitgetragen wirst. Oder ein einzelner (wie Marquez in der Literatur!) löst mit seinem Werk eine weltweite Welle von Begeisterung aus, die für die Kunst und Kultur des Landes (oder des Kontinents!) ein Segen ist und manch einer wird dabei entdeckt.
Die Kultur und Sprache des Landes in der man geboren wurde und seine Kindheit verbracht hat, prägt jeden Menschen, so auch den Künstler und seine Kunst im weitesten Sinne. Aber die Moderne Kunst hat eine globale Prägung als Nationale. Die Kunstwelt ist so vernetzt, dass man sich den neuen Entwicklungen und Strömungen in der Kunst, Wissenschaft und Technik nicht entziehen kann, wie vor 1000 Jahren, wo verschiedene Stämme und Völker ihre ganz eigenen kulturellen Ausdrucksformen in Ruhe entwickelten und ihre Besonderheiten bewahren konnten.
Heute kann ein chinesischer Künstler in Shanghai ähnliche Ideen haben wie der Maler hier in Kreuzberg. Und der Künstler in Shanghai hätte Möglichkeiten seine Werke hier in Kreuzberg zu präsentieren. Es gibt keine Grenzen mehr, weder im künstlerischen Schaffen und Denken, noch im Kunstmarkt, wo es sowieso nur ums Geld geht.

Wir sind als Gastarbeiterkinder die Zukunft der deutschen Kultur. Wir haben Ideen. Wir haben etwas zu sagen. Wir sind frisch und anders. Wir haben keinen Kulturballast auf unseren Schultern zu tragen. Wir sind in mehreren Kulturen zu Hause, können nach belieben daraus schöpfen und mixen. Wir bereichern und entwickeln die deutsche Kultur weiter.
Es kommt nicht von ungefähr, dass F. Akin auf der Berlinale 2004 der Goldene Bär verliehen wurde. Es ist der Versuch eines Imagewechsels. Man will sich in der internationalen Öffentlichkeit interkulturell, offen geben und natürlich für die „hohe Kunst“ neue Impulse holen. Wir sind eine große Chance für die deutsche Kultur.

Ich höre z.B. Asik Mahzuni, Sivan Perwer neben Bach und kann Rilke neben Yunus Emre lesen und bin dabei emotional total mitgerissen und geistig erfüllt. Mehrere Kulturen in sich fühlen, das ist modern. Wir mischen jeden Tag zwei oder drei ganz unterschiedliche Sprachen, zerstören sie und setzen sie dann wieder neu zusammen oder wenn uns danach ist, lassen wir sie nebeneinander getrennt. Das ist Reichtum. Das ist Kreativität. Das ist Kubismus im Alltag.
Die klassische Moderne ist ein Produkt der kulturellen Mischung. Hokusai meets Van Gogh. Der Spanier Picasso leitete seine kubistischen Formen unter anderem von den afrikanischen Masken ab. Matisse wurde von der islamischen Kunst stark beeinflusst.
Hinzu kommt, dass viele Künstler der klassischen Moderne, die etwas Großartiges geschaffen haben, genauso Migranten waren wie wir. Sie hatten alle einen anderen kulturellen Hintergrund als die Mehrheitsgesellschaft. Das wird allzu gern vergessen. Wir, die 2. und 3. Generation stehen auch in dieser großartigen Tradition.



Ercan Arslan
2005
Berlin







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